Roman Caviezel (Text) und Pia Valär (Illustrationen)

 

Eine satirische Annäherung an die Dreisprachigkeit im Kanton Graubünden. 

In’approximaziun satirica a la trilinguitad dal chantun Grischun.

Griling - «Stärke in der Vielfalt»

Mehrsprachigkeit im schönsten Kanton der Schweiz . Ein Amuse Bouche in drei Teilen.

 

GT: Graubünden Tourismus, gutenTag-bundi-buongiorno-hello.

FG: Grüezi wohl, Ida Glättli Herrliberg, kann man bei Ihnen Rätoromanisch lernen?

GT: Aber sicher, duonna Ida. Was darfs denn sein? Sursilvan, Sutsilvan, Puter, 

Vallader, Surmiran? Oder hätten Sie lieber unseren aktuellen Renner 

Rumantsch Grischun?

FG: …ach so…viele gibts? Nein, bitte keine Trends, ich bin eher der bodenständige Typ, ich probiers mal mit Sursilvan. 

GT: Wünschen Sie die Variante Tujetsch, Cadi, Foppa oder Lumnezia?

FG: Geht’s auch einfacher? - Dann halt Foppa… klingt zwar ein bisschen 

wie das französische Faux-pas, finden Sie nicht? Aber sei’s drum.

GT: Die protestantische oder die katholische Ausführung?

FG: Protestantisch, herrgottnochmal, wenn schon! Doch klar, Mann, als Zürcherin!!! 

Zwingli und so, auch schon davon gehört?

GT: Waltensburg/Vuorz oder Luven?

FG: Jetzt reicht’s aber. Lassen Sie mich doch in Frieden mit Ihren blöden Varianten.  

So muss eine Sprache ja aussterben! 

GT: Oder möchten Sie lieber Italienisch lernen, signora Glättli?

FG: …ja, vielleicht…warum nicht?

GT: Standard, pus’ciaving, bargaiot oder moesang?

FG: N-e-e-e-e-e-e-e-i-n! Hören Sie auf, um Gottes willen! Da mach ich lieber einen 

Töpferkurs! 

GT: Pianopiano, Frau Glättli, keine Panik auf der Titanic. Nur einen Augenblick noch: kennen Sie die Organisation Wunderfitz und Redeblitz, Sprachkompetenz dank themenbasierten Lernkisten? Für 1 – 99, die ideale Mischung für Sie, alles richtig bodenständig und handfest. Die neue Methode mit GARANTIERTEM Erfolg. Da finden Sie alles Wichtige für den erfolgreichen Spracherwerb des Rätoromanischen, von Hoppa, hoppa, heia bis Chara lingua, vom Leiterlispiel bis Leo Tuor. 

 

Eine Kostprobe gefällig? Zwei jugendliche Kursabgänger, nach erfolgreicher Integration in die dörfliche Peergroup. 

Giuven A: Ueilà bro! (palmamaun-pugn-bodycheck)

Giuven B: Hi!

Giuven A: No front, ti fas forsa ina tschera bro, has problems? Beef culs genis? Dattan matei sil keks, sco adina…

Giuven B: Save, mega, quels ein voll lost, mann! Uss vulani prender naven a mi miu Xiaomi. Per strof! Notas da piertg en matematica, ti sas gie. Tgei s’empos jeu, fuck, sche la Gianna lai bu scriver giu pli, quella stransla… voll cringe! Flexa pli bugen entuorn cun siu supercool (trai il nas) outfit da Nike.

Giuven A: Come on bro, chilla tia veta, sas prender quel cheu denton, jeu hai dus. 

Giuven B: O fresh, mann, thanks. Ti save-as (engles) mia veta.

Giuven A: Aber bu per suchtar WakfuAvatarGravityfalls… l’entira notg, capiu, bro? 

Giuven B: Bu tema, l’emprema mesadad ei reservada per la Sara, la secunda per serias e la tiarza per la mati, hahaha! 

Giuven A: Vesses bugen, tamazi! La Sara ei bu per tei. Xiaomi ni Sara, sas leger ò.

Giuven B: Xiaomi! Okay, sto ir, thanks, tgau! (palmamaun-pugn-bodycheck)

Giuven A: …?!

 

Frau Glättli hängt entgeistert auf. 

 

***

Und das meint dr Hitsch vu Pany

«Doch doch, wir kommen gewiss ganz gut aus miteinander. 150 Täler sozusagen in göttlicher Harmonie. Grundsätzlich. Ist ja auch logisch, ein Muss, wie man heute so schön sagt, schon wegen den Touris. Die wollen sich in Ruhe bei uns erholen und wehe es gibt Zoff im Kaff. Früher war das vielleicht anders, aber da hatte man auch kaum Kontakt untereinander. Jeder wurstelte für sich, ein Leben lang im selben Krachen: gleiche Nöte, gleiche Nachbarn, gleiche Lämpen. Das macht aggressiv, mit der Zeit. Aber für die Sprache ist das ein Segen.

Was glauben Sie, warum wir im Bündnerland ungefähr fünfzig (gefühlt) romanische und italienische Dialekte haben? Eben. Heute ist alles viel entspannter. Da fahr ich locker mal mit meinem neuen Subaru von Pany nach Samnaun oder Livigno. Zum Tanken, oder wenn mir der Whisky ausgegangen ist. Das verbindet, wissen Sie? Ja, wir schauen eben zueinander, gell? Und man versteht sich problemlos, auf jeden Fall auf Deutsch, versteht sich. Eine Hand wäscht die andere, astreine Win-Win-Situation, und erst noch interkulturell. Herrliches Schlagwort, finden Sie nicht auch? Damit hast du sofort alle im Sack.


Apropos Kultur, vor Weihnachten fahr ich übrigens immer nach Landquart zum Konzert von Origen. Dort im Zugdepot, Sie wissen schon. Immer super Stimmung, all diese Kerzen am Boden, einfach hinreissend besinnlich. Die machen das echt saugut, diese Rumantschen. Also das mit der Musik, meine ich. Im Männerchor haben wir kürzlich auch ein romanisches Lied gelernt. La sera sper il lag, hat im Unterland sogar ziemlich bedeutende Preise abgeräumt. Aber ehrlich gesagt, wenn die Dirigentin nicht so Druck gemacht hätte, ich weiss nicht, es gibt doch genug andere Lieder auf der Welt. Habe ich recht? So was Popiges auf Englisch, wie bei dem Kantilehrer da in Chur mit seinem Kampfchor, wäre doch supercool.


Ausserdem, Sie glauben nicht, was die für Kröten einsacken mit ihrer sogenannten Minderheitensprache. Unter uns gesagt und im Vertrauen, früher nannten wir ihre Sprache hier Elektrisch, haha! Tatsache, Elektrisch, fragen Sie mich nicht warum. Das waren noch Zeiten, heute würden die dir glattweg einen Verleumdungsprozess anhängen. Wie bei den Amis. Dabei pfeifen sie aus dem letzten Loch. Ja, und gehätschelt werden die, das geht auf keine Kuhhaut: Schulbücher bitte alle in fünf Varianten plus Rumantsch Grischun, zig Millionen für die Handvoll Romanengofen da draussen. Und für uns Deutschbündner bleibt dann kein Geld mehr übrig. Ist doch so! Und dann ramisieren sie auch sonst noch alles zusammen, was sie kriegen.


Neuerdings rekrutieren sie sogar ihr Personal bei uns! Haben die doch tatsächlich einen waschechten Prättiger, einen vun ünsch mit Gütesiegel, zum Präsidenten der Lia Rumantscha gewählt. Hatten wohl selber keinen besseren. Wetten, das ist der Anfang vom Ende, der erste Schritt Richtung endgültigen Absturz. Im Herbst läuft sein Mandat aus, aber vielleicht brauchen ja unsere Italos einen neuen Boss? Für mich kein Problem. Von den Rumantschen bekäme er zweifellos eine gute Referenz. Immerhin hat er sie bis jetzt vor dem sicheren Untergang bewahrt. Ehrlich, ich habe ja eigentlich nichts gegen die Romontschler, schliesslich ist der Schellenursli ja sozusagen einer von ihnen, aber was die immer zu streiten haben, das glaubt dir keiner. Von wegen was sich liebt, neckt sich! Die hacken einander öffentlich die Augen aus über alles und jedes, dass sogar einem eingefleischten Walser die Tränen kommen. Und dann bist du richtig erleichtert, wenn einmal ein Thema wie das Baukartell oder der Knatsch am Kantonsgericht auf den medialen Radar kommen. Wirklich, es ist nicht selten zum Fremdschämen.


Da sind die Leutlein aus den Südtälern deutlich diskreter. Und genügsamer. Denen ihre Hauptsorge ist die Übersetzung. Wenn Ämter und Einrichtungen in der Hauptstadt italienisch angeschrieben sind, halten die schön still. Gut, bei der kantonalen Pöschtliverteilung wollen sie natürlich auch mitkassieren, claro. Sonst kann es schon mal ein ausgewachsenes Rambazamba absetzen, aber das ist dann Wellness im Vergleich zu den andern. Die sind froh, wenn sie ihr Ding in der südlichen Abgeschiedenheit ungestört durchziehen können. Möglichst wenig an die grosse Glocke, Sie kennen das. Und Stichwort Dolce Vita, gell? Wir Zücchin - so nennen die uns Deutschbündner im kalten Norden neckisch - sind denen doch ziemlich wurst. Mich juckt das überhaupt nicht, haben wir schliesslich im WK auch immer so gemacht. Verschlaufen hiess das und ist in meinen Augen eh das Grundprinzip des friedlichen Zusammenlebens.»

 

***

Gipfeltreffen mit Bonanzasteak 

 

Ein aktiver und zwei ehemalige Vorsteher des Departements für Erziehung, Kultur und Umwelt (EKUD) sitzen - nein, nicht in der Ponderosa Ranch - im Wirtshaus Drei Bünde zu Chur. Es geht um Sprachpolitik, logisch, eine bisschen Psychohygiene und Bonanza. An die dreissig Jahre selbstloser Einsatz für die gleiche gute Sache verbindet sie, Canödel (alias Nödi - BDP), Pizzocchero (alias Pizzo – SP) und Türkariebel (alias Riebi – SP), auch wenn sie das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben.


– Was für ein Scheisstag, mannomann! Am liebsten würde ich das ganze Departement auf den Mond schiessen. Die gehen mir manchmal sowas von auf den Keks… Ach komm, Nödi, versucht Riebi zu beschwichtigen, nimm noch einen Schluck und freue dich auf das feine Steak. Wir kennen das, gell Pizzo, das EKUD ist halt ein Hühnerstall, das war schon immer so. Und Sprachpolitik ist in Gottes Namen ein anderes Paar Stiefel als bitzli Landwirtschaft, Martullo-Ems-Chemie und Tourismus. Ein sauexplosiver Dampfkessel, da geht’s schnell mal richtig zur Sache. Von wegen Sprachpolitik! Tempi passati. Jetzt rennen mir auch noch die Klimaaktivisten die Türe ein. Extinction Rebellion und Co., wenn ihr wisst, was ich meine. Die beissen zu, im Fall, hemmungslos, und fackeln dir die Bude ab, wenn du nicht spurst.


– Con calma, caro collega, mischt sich jetzt auch Pizzo ins Gespräch. Was ist denn auf einmal los mit dir? Jahrelang warst du ein Fels in der politischen Brandung wie kein anderer, ein wahrer Ausbund an Zurückhaltung und Langmut, und jetzt plötzlich so dünnhäutig?! Stelle deine Ohren auf Durchzug und lass die sich nur ein bisschen austoben. Fare l’indiano, heisst das bei uns. Haben Riebi und ich auch gemacht, noch und noch, wenn der Kessel kochte. Keine Angst, die lassen die Milch schon runter.

 

– Bonanza bien cuit? Per mai, grazcha fichun. Und nochmals das Gleiche? Für Sie, Monsieur? No, cara, la suola è per il signore. Für mich gibt’s nur saignant, capisce? Question de style. Oh, entfährt es Nödi, du lieber Freund! Jetzt gibst du aber schön an, Pizzone. Damals hast du alles in Bewegung gesetzt, dass Französisch bei uns hochkant aus dem Fächerkanon fliegt. Und heute lernt die ganze Schweiz die Sprache der Könige und Ambassadoren, ausser… the one and only Grigioni!!! Nicht zuletzt wegen dir, Mann. Guten Appetit allerseits!

 

– Das versteht ihr nicht. Unsereiner tickt nicht so. Die hätten mich doch glatt gelyncht, im Puschi unten, wenn ich da nicht bedingungslos Kante gezeigt hätte. Italo oder Franz, das war die ultimative Frage. Gut, profitiert haben am Schluss wie immer die Anglos, aber das konnte man damals nicht voraussehen. Übrigens, mica male, das Bonanza, gell!? Noch besser ist nur meine Lüganiga «alla Pizzo». Wieder eine von deinen umwerfenden Extrawürsten, geht Riebi dazwischen, kennen wir, haha! Nein ehrlich, apropos, carissimo Pizzocchero dei Pizzoccheri, was hast du während deiner Regierungszeit nicht alles angerissen: Rumantsch Grischun in der Schule, nur um ein paar lausige Fränkli einzusparen, das Sprachengesetz, das ausser ein paar Fanatikern niemand wirklich wollte, die Reorganisation des EKUD, die alle nur verrückt gemacht hat etc. etc. Hand aufs Herz, ein Denkmal von dir für die Nachwelt hätte wohl auch gereicht! Und wer musste die Sache dann jeweils wieder geradebiegen, in Frieden und Harmonie, oder einfach geduldig aussitzen?

 

– Schon bun, sar magister perpeten, meint Nödi mit vollem Mund … Nichtspieler Maul halten! - Der Genosse Schöberli, natürlich. Ich nannte es Konsolidierung, aus Selbstschutz, zugegeben, aber auch um deine Leute und die Romanen nicht zu vergraulen. Der Kanton brauchte doch wieder mal Ruhe, nach all den Turbulenzen Marke Pizzo. Und erst heute, ragazzi, macht sich Nödi wieder bemerkbar, nachdem er seinen Teller schön ordentlich ausgeputzt hat, von wegen Turbulenzen, ein ausgewachsener Tsunami ist das! Und erst noch von ganz oben. Selber sind sie dort in der Berner Kommandozentrale nicht einmal imstande unsere Charalingua fair zu behandeln – musste meine Sekretärin doch tartsächlich einen Standardbrief aufsetzen, viersprachig, versteht sich, für all die Reklamationen an den Bundesrat - und uns bombardieren sie pausenlos mit neuen Studien und Berichten. Und wissen erst noch alles besser, mit Evaluationen und Ansprüchen ohne Ende. Ich kanns bald nicht mehr hören. Und schamlose Kritik, sage ich euch, direkt auf den Mann, da wird sogar einem furchtlosen Chatschader engiadinais schwindelig.

 

– Weg damit, der ganze Wisch, subito und kommentarlos in die Schublade, oder noch besser in den Müll, fährt Riebi dezidiert dazwischen… und einfach ignorieren, doppelt Pizzo nach. Wir wissen doch, porca vacca, selber am besten, was für uns gut ist. Und überhaupt, was wollen die jetzt noch beweisen da unten, oder oben, nach zweihundert Jahren Funkstille? Wir haben einen Standschaden, compagni, das schleckt keine Geiss weg… Wie wär’s mit einem Dolce? zum Vergessen?! Signorina…

 

Beim Caffè corretto sticht der Hafer Nödi erneut, …aber, apropos Schublade, was, wenn mein Depi morgen gehackt wird, wie bei der RUAG? Das wäre mein Untergang, definitiv, so knapp wie ich wiedergewählt wurde. Dann gibt’s nur eins, char Canödelin, ruft Riebi kampfeslustig, Gring acha u seckla! Ruckzuck eine Arbeitsgruppe einberufen, gouverner c’est prévoir, messieurs, subito mindestens 80 Massnahmen für die Sprachenförderung im Kanton Graubünden uf da Lada, Arbeitstitel «Stärke in der Vielfalt», mit Budget, Verantwortlichkeiten und allem Zusatzklimbim, und hoppdipopp, zahlen soll der Bund, sonst geht nix! - Dann greifen die klassenkampferprobten Kämpen Pizzo und Riebi ihrem leidgeplagten Schicksals-Genossen unter die Arme und alle drei stehen langsam auf. In unwiderstehlicher Einheit, die rechte Faust zur Decke gereckt wanken sie Richtung Ausgang und schmettern aus voller Kehle: Avanti popolo, alla riscossa, bandiera rossa ‘la trionferà! 

 

 

Illustrationen von Pia Valär. Alle Urheberrechte bei der Illustratorin.

Mehrsprachigkeit Graubünden