Vincenzo Todisco

Der Italienischunterricht auf der Primarstufe im deutschsprachigen Teil des Kantons Graubünden – eine Chronik

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 Babylonia 1/2018    Link

1999: Italienisch als erste Fremdsprache 

In diesem Beitrag wird die Entwicklung des Italienischunterrichts als Fremdsprache in den Primarschulen des deutschsprachigen Teils des Kantons Graubünden seit dessen Einführung im Jahre 1999 bis heute aufgezeigt. Im dreisprachigen Kanton Graubünden gibt es je nach Sprachregion drei verschiedene Schultypen: die deutschsprachige, italienischsprachige und romanischsprachige Volksschule mit den entsprechenden Schulsprachen. In einigen Gemeinden an der Sprachgrenze und in Chur gibt es zudem zweisprachige Schulen (Gregori & Todisco, 2011; Gregori, Lutz & Todisco, 2012; Todisco, 2013). Aktuell gilt in Graubünden das von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vorgegebene und von den meisten Kantonen umgesetzte Modell 3/5 (EDK, 2004). Für Graubünden bedeutet dies, dass in den italienisch- und romanischsprachigen Gebieten Deutsch ab der 3. Klasse als erste und Englisch ab der 5. Klasse als zweite Fremdsprache, im deutschsprachigen Gebiet hingegen Italienisch als erste und Englisch als zweite Fremdsprache unterrichtet werden. Tabelle 1 fasst das Bündner Sprachenkonzept für die Volksschule zusammen. 

 

Deutschsprachige Schulen

Italienischsprachige Schulen

Romanischsprachige Schulen

Schulsprache Primarschule und Sekundarstufe I (1. – 9. Kl.)

Deutsch

Italienisch

Romanisch

Zweit- bzw. Fremdsprachen Primarschule und Sekundarstufe I (1. – 9. Kl.) als Pflichtfächer

Italienisch oder Romanisch ab der 3. Kl. 
Romanisch bereits ab 1. Kl. möglich
Englisch ab der 5. Kl.

Deutsch ab der 3. Kl.
Englisch ab der 5. Kl.

Deutsch ab der 3. Kl.
Englisch ab der 5. Kl.

Wahlfächer Sekundarstufe I

Romanisch oder Italienisch
Französisch

Romanisch
Französisch

Italienisch
Französisch

Tab. 1. Sprachenangebot in den Schulen der einzelnen Sprachregionen Graubündens
(Quelle: Amt für Volksschule und Sport Graubünden, www.gr.ch > Volksschule > Sprachenangebot)

Deutsch ist im Kanton Graubünden die Mehrheitssprache, während Italienisch und Romanisch Minderheitensprachen sind. Gemäss der kantonalen Strukturerhebung 2016 geben 74.9 % der Befragten Deutsch als Hauptsprache an, 15.1 % Romanisch und 13.1 % Italienisch (Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden, 2016)1. Dieses Kräfteverhältnis der drei Kantonssprachen wirkt sich auch auf die Bedeutung und Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts aus. Während für italienisch und romanischsprachige Kinder und Jugendliche das Erlernen von Deutsch für ihre schulische und berufliche Zukunft als sehr wichtig eingestuft wird, ist der Stellenwert von Italienisch in deutschsprachigen Schulen geringer. Wenn man bedenkt, dass Französisch bzw. Deutsch als Fremdsprachen an den Primarschulen von den ersten Schweizer Kantonen bereits im Laufe der 1970er-Jahren eingeführt wurden (EDK, 2017, S. 1), wird im deutschsprachigen Teil des Kantons Graubünden Italienisch auf dieser Schulstufe seit relativ kurzer Zeit unterrichtet.2Das Fach Italienisch wurde nämlich aufgrund der Teilrevision des Schulgesetzes vom März 1997 auf das Schuljahr 1999/2000 als Zweitsprache3eingeführt (Kanton Graubünden, 1999). Italienisch wurde als Frühfremdsprache und Begegnungssprache definiert und war in der Startphase nicht promotions- und selektionswirksam. Die Bewertung des Faches wurde ab dem Schuljahr 2003/04 eingeführt. Gemäss dem damaligen Konzept sollte Italienisch nach bestimmten didaktischen Prinzipien unterrichtet werden, die grösstenteils den heutigen Vorstellungen von Fremdsprachenunterricht in der Perspektive der Didaktik der Mehrsprachigkeit entsprechen (Sauer & Saudan, 2008). Gemäss dem damaligen didaktischen Ansatz sollten die Schülerinnen und Schüler die Sprache lernen, indem sie gemeinsam wahrnehmen, handeln, erleben und sprechen. Unterrichtsformen, die Lernen in sozialer Interaktion erlauben, sollten Vorrang haben. Wichtiger als die Beurteilung der formalen Regelverstösse war die Förderung der Kommunikationsfähigkeit. Deklariertes Ziel war, dass die Schülerinnen und Schüler sich einen Sprachschatz aneignen sollten, der sie befähigt, in verschiedenen Alltagssituationen kommunikativ handlungsfähig zu sein. Nach einer intensiven Ausbildung der Lehrpersonen startete der Fremdsprachunterricht Italienisch mit dem Lehrmittel VersoSud, das damals bereits für den Italienischunterricht im Kanton Uri eingesetzt wurde.

Mit Beginn des Schuljahres 2002/2003 traten erstmals Schülerinnen und Schüler in die Sekundarstufe I über, die während ihrer Primarschulzeit Italienischunterricht genossen hatten. Aus diesem Grund beauftragte die Bündner Regierung im Jahr 2002 die Pädagogische Hochschule Graubünden (PHGR) mit einer Evaluation. Die Studie wurde nicht veröffentlicht, sie liegt aber in Form eines Schlussberichts vor (Gregori & Todisco, 2003). 

 

2002: Die Evaluation zum neu eingeführten Fach 

 

Primäres Ziel der Evaluation war es, nach drei Jahren Zweitsprachunterricht Italienisch am Ende der 6. Klasse das Erreichen der vorgegebenen Lernziele zu überprüfen. Zudem sollte die Einstellung der Lernenden, der Erziehungsberechtigten und der Lehrpersonen zu diesem Fach festgestellt werden. Ebenfalls untersucht wurde die Tauglichkeit des Lehrmittels VersoSud. Die Evaluation, in Form einer Stichprobenuntersuchung, wurde vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Bern begleitet. Die 15 Klassen und daraus die insgesamt 149 Kinder, deren Sprachkompetenzen getestet werden sollten, wurden nach den drei Variablen geografische Verteilung der Schulen (Stadt-Land), Geschlecht und Klassenform bestimmt. Den Sprachtests ging eine Befragung bei der gesamten Schülerschaft, den Lehrpersonen und den Eltern mittels Fragebogen voraus. Insgesamt wurden über 3000 Fragebogen versandt.

Die Lehrerbefragung ergab eine hohe Akzeptanz und Motivation gegenüber dem Fach Italienisch, zeigte aber auch eine Unsicherheit bezüglich der Sprachkompetenz der unterrichtenden Lehrpersonen. Die Mehrheit von ihnen schrieb sich eine mittelmässige bis gute Sprachkompetenz in Italienisch zu. Ein Sechstel der Befragten bekundete hingegen Mühe. Es ist zu bedenken, dass sich die Lehrpersonen innert kürzester Zeit auf das neue Fach einstellen mussten. Aus diesem Grund wünschte sich über die Hälfte der Befragten eine Weiterbildung.

Aus der Umfrage wurde klar, dass sich lediglich 17 % der Lehrerschaft an die vom Kanton vorgeschlagene Unterrichtsorganisation hielten. Demnach sollte Italienisch vier Mal in Form einer halben Lektion über die ganze Woche verteilt unterrichtet werden. Ebenfalls auf der Strecke blieb teilweise das Unterrichten nach dem vorgegebenen didaktischen Ansatz (Lernen durch Handeln, Erleben und Wahrnehmen).

Auch bei den Erziehungsberechtigten erfreute sich das Fach Italienisch einer hohen Akzeptanz. Mehr als zwei Drittel der Befragten befürworteten Italienisch als Fremdsprache in der Primarschule. Bezüglich der Wirksamkeit waren die Ansichten geteilt: 47.7 % attestieren dem Fach einen guten Erfolg, 41 % waren hingegen der Meinung, dass die Kinder nicht so viel gelernt hätten.

Aus der Umfrage bei den Schülerinnen und Schülern ging hervor, dass sie Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hatten und glaubten, „ziemlich gut“ Italienisch zu können.

Bei den Sprachtests lag der Schwerpunkt auf dem Hörverstehen, den ritualisierten Sprechakten (z.B. sich vorstellen, jemanden grüssen, nach dem Weg fragen usw.) und der freien mündlichen Interaktion. Massgebend waren die im Lehrplan festgelegten Lernziele. Beim Hören/Verstehen und bei den ritualisierten Sprechakten schnitten die Kinder besser ab als in der freien Sprachproduktion. Hier lagen 40 % der getesteten Kinder im genügenden Bereich, während beim Sprechen nur 17.9 % genügende Resultate erzielten. Zwei der 15 getesteten Klassen hatten in den ersten drei Primarschuljahren Fremdsprachunterricht Romanisch. Diese beiden Klassen erzielten überdurchschnittlich gute Resultate. Die Testresultate deckten sich mit der Einschätzung der Lehrpersonen, wonach die Lernziele im Sprechen mehrheitlich nicht erreicht würden. Die im Lehrplan vorgesehenen Austauschaktivitäten wurden nach Angaben der Befragten zum grössten Teil vernachlässigt. Über 90 % gaben an, dass ihre Schülerinnen und Schüler keine Kontakte mit einer italienischsprachigen Klasse hatten. Gleichzeitig mit der Evaluation wurde dem Institut für Sprachwissenschaft der Universität Bern der Auftrag erteilt, ein Gutachten über das Lehrmittel VersoSud zu erstellen. Zweck dieser Expertise war es, die subjektiven Aussagen der Lehrpersonen zum Lehrmittel mit denen der externen Untersuchung vergleichen zu können. Das Resultat zeigte denn auch, dass in vielen Punkten Übereinstimmungen bestanden. Vor allem im didaktischen und im methodischen Bereich ortete das Gutachten bei VersoSudDefizite. Das Spielerische würde übertrieben und führte zu Unterforderungen. Zudem würde selbstständiges Lernen vernachlässigt. Mangels Wörterverzeichnisses könnten keine Vokabeln gelernt werden. Nach Meinung der Gutachter sollte VersoSudradikal überarbeitet werden. Diese Erkenntnis veranlasste das Amt für Volksschule und Sport Graubünden (AVS), eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die Empfehlungen für ein neues Lehrmittel ausarbeiten sollte. Zusammenfassend konnte gemäss der von der PHGR durchgeführten Studie festgehalten werden, dass der eingeschlagene Weg im Fremdsprachunterricht Italienisch grundsätzlich beibehalten werden sollte. In einzelnen Bereichen drängten sich aber Verbesserungen auf. Die PHGR schlug verschiedene Massnahmen zur Weiterentwicklung des Faches vor. Die Lehrpersonen sollten im sprachlichen und didaktisch-methodischen Bereich weitergebildet werden. Die empfohlene Unterrichtsorganisation sollte neu überdacht und allenfalls angepasst werden. Die Lehrpersonen sollten gemäss den gegebenen Möglichkeiten zu einer fächerübergreifenden und teilimmersiven Verwendung der italienischen Sprache aufgerufen werden; ausserdem sollten sie die italienische Sprache im Unterricht konsequenter anwenden. VersoSud sollte durch ein neues Lehrmittel ersetzt werden. Die Austauschpädagogik sollte intensiviert werden. Aufgrund der überdurchschnittlichen Resultate jener Klassen, die in den ersten drei Jahren mit dem Romanischen bereits einen Fremdsprachunterricht genossen hatten, sollte die Frage nach einem vorgezogenen Beginn des Italienischunterrichts angegangen werden.

 

Weiterentwicklung und Vertiefung

 

Die Frage der Lehrmittel 

 

Die im Rahmen der Studie formulierten Massnahmen wurden im Laufe der folgenden Jahre mehrheitlich umgesetzt. Bereits ein Jahr nach der Evaluation starteten die ersten Weiterbildungskurse an der PHGR. 2005 wurden die Lernziele überarbeitet, ein Vokabular zu VersoSud und ein Konzept für die Schnittstellenproblematik erstellt. 2006 erschien das Begleitbuch zur Kultur und Sprache Südbündens zuhanden der Lehrpersonen mit dem Titel Una finestra sul Grigioni italiano(Todisco, 2006). Auf das Schuljahr 2007/2008 wurde das neue Lehrmittel Grandi amici eingeführt und die Lehrpersonen dafür weitergebildet. Aufgrund der Erfahrungen mit VersoSud wurden bei Grandi amicivon der PHGR im Auftrag des AVS Graubünden von Anfang an Zusatzmaterialien in Form von Vokabular, didaktischen Kommentaren und Grammatikblättern entwickelt. Die Weiterbildung der Lehrpersonen wurde ausgeweitet, um eine konsequentere Umsetzung der Unterrichtsprinzipien zu gewährleisten. Bereits 2003 hatte die PHGR die didaktische Ausbildung der künftigen Lehrpersonen übernommen und konnte fortlaufend die neuen Entwicklungen in den Unterricht einfliessen lassen, insbesondere was die integrierte Didaktik der Mehrsprachigkeit anbelangt. In diesem Zusammenhang wurden im Auftrag des AVS Graubünden fortlaufend Begleit- und Zusatzmaterialien für den Italienischunterricht erarbeitet, unter anderem Lesetexte (Caspani & Todisco, 2010 a; 2012 a) und Unterrichtsvorschläge und Materialien für teilimmersive Unterrichtssequenzen (Caspani & Todisco, 2010 b; 2012 b).

 

Die Schnittstellenproblematik

 

Beim Übergang der ersten Primarschülerinnen und -schüler mit Italienisch als Fremdsprache in die Sekundarstufe I richtete sich der Fokus auf die Schnittstellenproblematik. Um den Lehrpersonen der Sekundarstufe I Einblick in den Italienischunterricht in der Primarschule zu gewähren, hat die PHGR 2009 im Auftrag des AVS einen Dokumentarfilm realisiert (Bietenhader & Todisco, 2009): Den Lehrpersonen der Sekundarstufe I sollte dadurch bewusst werden, dass die Kinder die erste Begegnung mit einer Fremdsprache positiv erlebt haben und dass trotz Schwierigkeiten im formalen Bereich die Hemmschwelle zum Sprechen und zur Kommunikation im Allgemeinen tief liegt. Gleichzeitig zum Dokumentarfilm wurde ein Handout für die Schnittstellen und zwei Plattformen für den Austausch von Unterrichtsmaterialien eingerichtet.4Im Hinblick auf die Einführung von Englisch erfolgte 2010 die Vorverlegung von Italienisch als Fremdsprache von der 4. auf die 3. Primarklasse. Es wurde ein neuer Lehrplan erarbeitet, der sich in seinen didaktischen Grundzügen stark an den Passepartout-Lehrplan anlehnte und in vielen Bereichen den Lehrplan 21 vorwegnahm (Kanton Graubünden, 2010). Die Vorverlegung implizierte die Neudefinition der Lernziele und Schnittstellen, was wiederum Weiterbildungskurse zur Folge hatte. Ein Jahr später erstellte das Schul- und Kindergarteninspektorat Graubünden (SKI, 2011) bezüglich des Italienischunterrichts einen Erfahrungsbericht zur Schnittstelle Primarstufe – Sekundarstufe I. In diesem Zusammenhang sind alle Lehrpersonen (insgesamt 71), die im Schuljahr 2010/2011 eine erste Klasse der Sekundarstufe I im Fach Italienisch unterrichtet hatten, vom Schul- und Kindergarteninspektorat in die Erhebung einbezogen worden. Diese bestand aus einem Unterrichtsbesuch mit einem anschliessenden Gespräch. Dabei wurde der Unterricht besprochen und mit jeder Lehrperson ein Leitfadeninterview durchgeführt. Aus der Erhebung ging hervor, dass die mehrheitlich geringe Motivation der Schülerinnen und Schüler für das Fach Italienisch durch die Durchführung von Austauschwochen erhöht werden könnte. Die Erwartungen der Lehrpersonen der Sekundarstufe I an den Italienischunterricht der Primarschule fielen sehr heterogen aus. Insbesondere sollten die Lehrpersonen der Sekundarstufe I noch besser über den Italienischunterricht der Primarschule orientiert werden. 

 

Die Frage nach der Umsetzung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik 

 

Die Erhebung zeigte zudem, dass die Lehrpersonen der Sekundarstufe I den eigenen Unterricht mehrheitlich kommunikationsfördernd einschätzten. Nach ihren Aussagen kamen die Primarschülerinnen und -schüler mit unterschiedlich gut gefestigten Grundkenntnissen an die Oberstufe. Weiter wurde ersichtlich, dass eine Verbindung des Italienischlernens mit anderen Fächern, im Sinne eines fächerübergreifenden Ansatzes, auf der Sekundarstufe I kaum stattfand, was vor allem auf das Fachlehrersystem zurückzuführen ist. Es wurde demnach klar, dass bis zum Zeitpunkt der Erhebung die Prinzipien einer Didaktik der Mehrsprachigkeit auf der Sekundarstufe I noch nicht Eingang gefunden hatten.

 

Die Frage des angemessenen Niveaus

 

2013 wurde Englisch ab der 5. Primarklasse eingeführt. Auf das Schuljahr 2014/2015 wurde auf der Sekundarstufe I das Lehrmittel Espressovon Amici d’Italiaabgelöst. In der Folge wurde die Frage der Schnittstelle neu aufgeworfen. Aus informellen Rückmeldungen der Primarschullehrpersonen konnte man schliessen, dass das auf Kinder ausgerichtete Lehrmittel Grandi amiciden Anforderungen insbesondere für die 5. und 6. Klasse nicht mehr genügt. Um die Situation zu entschärfen, wurde beschlossen, bereits in der Primarschule das anspruchsvollere Lehrmittel Amici d’Italia einzusetzen. Ab dem 2. Semester 2017/2018 arbeiten die ersten 5. Primarklassen damit. Ein neues Schnittstellenkonzept soll im Laufe von 2018 erarbeitet werden.

Klare Fortschritte können im Bereich der Austauschpädagogik verzeichnet werden. In den letzten Jahren sind vermehrt Austauschprojekte verschiedenster Art durchgeführt worden, mitunter dank der finanziellen Unterstützung des Kantons. Besonders erwähnenswert ist das Projekt AlpConnectar(www.alpconnectar.ch), das unter Einbezug digitaler Medien den Kontakt und den Austausch zwischen Schulen aus Deutsch und Italienischbünden intensiviert (Botturi et al., 2016).

 

Erfolge

 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass seit der Einführung im Jahre 1999 und dank einer ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen der PHGR und dem AVS Graubünden der Italienischunterricht laufend angepasst und weiterentwickelt wird, was mit einer bedeutenden Investition an finanziellen und menschlichen Ressourcen verbunden ist. Ein besonderer Fokus richtete sich dabei stets auf den Übergang von der Primarschule in die Sekundarstufe I. Die PHGR hat sich im Rahmen dieses Prozesses eine grosse Erfahrung in der Fremdsprachen- und Mehrsprachigkeitsdidaktik angeeignet. Gerade was den immersiven Unterricht anbelangt, erprobt sie laufend neue Projekte – so beispielsweise «Sprachen im KOchtoPF» (Caspani Menghini & Todisco, 2016: 26–27). Hier geht es nicht primär um den Italienischunterricht, sondern darum, die Kinder möglichst früh mit anderen Sprachen in Kontakt zu bringen: Primarschulklassen aus verschiedenen Teilen Italienischbündens haben ein mehrsprachiges Theaterstück erarbeitet, in dem sie die Schulsprache Italienisch und die Fremdsprachen Deutsch, Englisch und Portugiesisch (für manche Kinder eine Erstsprache) kommunikativ, handlungsorientiert und übergreifend anwenden und erleben. Das Projekt hat im Rahmen des vom Kanton Graubünden ausgeschriebenen Wettbewerbs «Schule und Kultur 2017» den 1. Preis erhalten. Die PHGR ist bestrebt, ähnliche Projekte auch im Bereich des Italienischunterrichts im deutschsprachigen Teil des Kantons durchzuführen.

 

2013: Spracheninitiative

 

Die schweizweite Sprachendebatte hat allerdings auch vor Graubünden nicht Halt gemacht. 2013 ist eine Initiative mit dem Titel «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule» eingereicht worden, wonach auf der Primarstufe nur noch eine Fremdsprache unterrichtet werden sollte, und zwar Englisch in Deutschbünden oder Deutsch in Italienisch- und Romanischbünden. Für Deutschbünden hätte dies bedeutet, dass Italienisch auf die Sekundarstufe I verschoben würde. Die Initianten begründeten Ihren Vorstoss mit der vermeintlichen Überforderung mancher Kinder mit zwei Fremdsprachen, was sich ihrer Meinung nach negativ auf die Erstsprachkompetenz auswirke. Der Bündner Grosse Rat erklärte 2015 die Vorlage für ungültig, weil sie kantonales sowie Bundesrecht verletze. Die Initianten legten Einsprache beim Verwaltungsgericht ein. 2016 hat das Bündner Verwaltungsgericht den Entscheid des Kantonsparlaments rückgängig gemacht: Die Initiative sei doch gültig, weil sie keinen offensichtlichen Verstoss gegen übergeordnetes Recht beinhalte. Daraufhin legte die Kulturorganisation Pro Grigioni Italiano beim Bundesgericht Beschwerde ein, welche aber abgewiesen wurde.

In der Volksabstimmung vom 23.9.2018 lehnten die Bündner Stimmberechtigten die Fremdspracheninitiative deutlich mit 65.19 % Nein gegenüber 34.81 % Ja ab, womit am bisherigen System festgehalten wird.

 

 

Anmerkungen

 

1 Bei der Strukturerhebung konnten die Befragten mehrere Hauptsprachen nennen. Es wurden bis zu drei Nennungen je Person berücksichtigt. Deshalb übersteigt die Summe der Prozentzahlen die 100 %-Marke (Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden, 2016).

2 In den romanisch- und italienischsprachigen Teilen des Kantons wurde hingegen Deutsch als Fremdsprache auf der Sekundarstufe I bereits Ende des 19. Jahrhunderts und an der Primarschule ab den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts unterrichtet (Collenberg, 2012).

3 Im Lehrplan und in den offiziellen Dokumenten des Amtes für Volksschule und Sport Graubünden wird von Italienisch als «Zweitsprache» gesprochen. In Anlehnung an Günther & Günther (2007), wonach eine Fremdsprache ausschliesslich gesteuert in der Schule gelernt wird und hingegen der Kontakt zur Zweitsprache auch ausserhalb des Unterrichts stattfindet, benutzen wir hier aber den Begriff Fremdsprache. Zusammen mit Italienisch wurde 1999 auch Romanisch als Fremdsprache eingeführt.

4 Eine ausführliche Zusammenstellung aller Materialien für den Italienischunterricht findet sich auf der Webseite von Lehrmittel Graubünden: http://www.lmv.gr.ch/shop/index.htm.
Die Plattformen Siamo amici(für die Primarschule) und Amici(für die Sekundarschule) sind auf der Internetseite der PHGR (www.phgr.ch) zugänglich.

 

 

Literaturverzeichnis

 

Amt für Wirtschaft und Tourismus Kanton Graubünden. (2016). Strukturerhebung Bevölkerung – Hauptsprache, Graubünden und Schweiz 2010 – 2015. Zugriff am 24.9.2018 unter
https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/dvs/awt/statistik/Bevoelkerung/Seiten/Sprache,_Religion.aspx

 

Bietenhader, S. & Todisco, V. (2009). I colori della nostra classe. DVD. Chur: Lehrmittel Graubünden.

 

Botturi, L., Flepp, L., Metry, A., Negrini, L., Steiner, E., Trezzini, M. & Todisco, V. (2016). AlpConnectar. Lingue culture e tecnologie attraverso le alpi. Babylonia, 3, 56–57.

 

Caspani, F. & Todisco, V. (2010 a). A scuola in italiano. Proposte di immersione per la terza e la quarta classe. Chur: Lehrmittel Graubünden. 

 

Caspani, F. & Todisco, V. (2010 b). Il mistero di Icima. Letture per la terza e quarta classe. Chur: Lehrmittel Graubünden. 

 

Caspani, F. & Todisco, V. (2012 a). Ancora a scuola in italiano. Proposte di immersione per la quinta e la sesta classe. Chur: Lehrmittel Graubünden.

 

Caspani, F. & Todisco, V. (2012 b). Sofia ha fatto un sogno. Lettura per la quinta e sesta classe. Chur: Lehrmittel Graubünden.

Caspani Menghini & F. Todisco, V. (2016). “Sprachen im KOchtoPF” un progetto nell’ambito della didattica del plurilinguismo. Babylonia, 3, 26–27.

 

Collenberg, A. (2012). Scola, In: Lexicon Istoric Retic. Edì da la Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), tom 2. Cuira/Chur: Chasa editura Desertina, S. 336–339.

 

Gregori, G. P. & Todisco, V. (2003). Evaluation des Zweitsprachunterrichts (ZSU) Italienisch in den Primarschulen des deutschsprachigen Teils des Kantons Graubünden. Schlussbericht. Chur: Pädagogische Hochschule Graubünden.

 

Gregori G.-P. & Todisco V. (2011). Scuole bilingui nell’area geografica dell’alta Engadina. In: M. Trezzini & V. Todisco (Hrsg), Mythos Babel. Mehrsprachigkeitsdidaktik zwischen Schein, Sein und Wollen. Zürich: Verlag Pestalozzianum, S. 169–194.

 

Gregori, G.-P., Lutz, I. & Todisco, V. (2012). Zweisprachiger Schulunterricht in Graubünden. Synergies Europe, 7, 77–90.

 

Günther, B. & Günther, H. (2007). Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache. Weinheim: Beltz. 

 

Kanton Graubünden (1999). Italienisch als Zweitsprache in den Primarschulen. Medienmitteilung vom 14.6.1999. Zugriff am 10.1.2018 unter
https://www.gr.ch/DE/Medien/Mitteilungen/MMStaka/1999/Seiten/DE_13989.aspx

 

Kanton Graubünden, Amt für Schule und Sport. (2010). Italienisch als erste Fremdsprache an deutschsprachigen Schulen. Lehrplan Italienisch als erste Fremdsprache – Version 2010. Zugriff am 10.1.2018 unter https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/ekud/avs/Volksschule/Lehrplan_Primar_184-212_Italienisch_f_Dt.pdf#search=lehrplan%20italienisch

 

Kanton Graubünden, Amt für Schule und Sport. Sprachenangebot in den Schulen der einzelnen Sprachregionen. Zugriff am 10.1.2018 unter https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/ekud/avs/Volksschule/Sprachenangebot_uebersicht_de.pdf

 

Sauer, E. & Saudan, V. (2008). Aspekte einer Didaktik der Mehrsprachigkeit: Vorschläge zur Begrifflichkeit. Arbeitsgruppe Rahmenbedingungen. Zugriff am 28.01.2017 unter
https://www.erz.be.ch/erz/de/index/kindergarten_volksschule/kindergarten_volksschule/fremdsprachenunterricht/paedagogische_grundlagenundthemen.html

 

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Todisco, V. (2013). Scuola bilingue e plurilinguismo a Maloja. Collana PHGR 2/2013. Chur: Südostschweiz Buchverlag.

 

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