Esther Krättli

EINFACH MEHRSPRACHIG: EINE ANLEITUNG ZUR NATÜRLICHEN MEHRSPRACHIGKEIT

Publikation in der Reihe «Collana PHGR» von Christine Antonia vom Brocke

Wenn Kinder verschiedene Sprachen sprechen, staunen viele Erwachsene. Manch einer wünscht sich diese Fähigkeit für die eigenen Kinder. Schliesslich gilt die Kompetenz, in verschiedenen Sprachen handeln zu können, heutzutage als Schlüsselqualifikation. Doch wie geht das, wenn man nicht in einem mehrsprachigen Umfeld lebt? Geht das überhaupt? 

 In «Einfach mehrsprachig. Wie mein Kind mit Leichtigkeit Sprachen lernt» aus der Reihe Collana PHGR präsentiert Dr. Christina vom Brocke eine Methode, wie das Sprachenlernen im Alltag ohne Mühe gefördert werden kann. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die Altersgruppe 0 – 6 Jahre gelegt. Die Einblicke helfen darüber hinaus jedoch auch dabei, Spracherwerb und Fördermethoden für die Kindheit und für jedes Alter allgemein besser zu verstehen. 

 

Pluriling.ch sprach mit Christina vom Brocke über ihr neues Buch:

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben?

In der heutigen Zeit ist Mehrsprachigkeit in meinen Augen eine Schlüsselqualifikation. Ich bewundere immer die Kinder, die scheinbar mühelos mit mehreren Sprachen hantieren. So etwas habe ich mir für meine eigenen Kinder immer gewünscht. Ich selbst wohne allerdings in einer vorwiegend deutschsprachigen Umgebung und auch mein Partner ist deutschsprachig. Mehrsprachigkeit ist somit kein selbstverständliches und stets präsentes Kommunikationsmittel im Alltag. Als unsere Kinder auf die Welt kamen, wäre es mir viel zu fremd gewesen, mit ihnen in einer anderen Sprache als meiner Erstsprache zu sprechen. Die Idee, Kinder mehrsprachig aufwachsen zu lassen, wollte ich aber nicht komplett aufgeben. 

Somit habe ich nach Möglichkeiten gesucht, wie Kinder durch einen gewissen regelmässigen Kontakt mit einer weiteren Sprache und Kultur, eine Offenheit für Sprachen und Kulturen entwickeln und womöglich ein gewisses Repertoire an sprachlichen Mitteln erwerben können. An meinen eigenen Kindern habe ich gemerkt, wieviel eigentlich in dieser jungen Altersgruppe möglich ist, nur indem kleine Rituale in den Alltag integriert werden. 

Ich denke, dass sich andere Eltern – oder vielleicht auch Lehrpersonen an Kitas, Kindergärten oder auch Schulen – ähnliche Fragen stellen. Daher habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben.

 

Wie können Leserinnen und Leser Ihr Buch nutzen?

Das Buch kann entweder informierend oder animierend genutzt werden. Das heisst, dass es in dem Buch einen informativen Teil zum Spracherwerb gibt, der allgemein ausgelegt ist und Fragen zum Zweitspracherwerb und speziell zum frühen Zweitspracherwerb klärt. Im zweiten Teil des Buchs werden viele praktische Tipps und Hinweise zu Materialien gegeben, mit denen Eltern und Lehrpersonen direkt – je nach Altersgruppe – loslegen können. Dies ist der animierende Teil. 

Dabei wird eine Vorgehensweise zum Umgang mit dem Material vorgeschlagen, die nach verschiedenen persönlichen Zielen differenziert. Auch gibt es Anleitungen dazu, wie wir unsere eigene Sprachkompetenz in anderen Sprachen ermitteln können. 

 

 

 

Dr. Christine Antonia vom Brocke

 

In einem Kapitel beleuchten Sie das Verhältnis von Erstsprache und Zweit- oder Fremdsprache. Welchen Einfluss haben die Kompetenzen in der Erstsprache auf die Mehrsprachigkeit?

 

Generell ist die Frage, wann und mit welcher Intensität Sprachen einen festen Platz im Alltag erhalten. Ganz junge Kinder entdecken die Welt mit Sprache. Das, was bezeichnet werden kann, erhält mit der Bezeichnung bestimmte Eigenschaften, wie etwa «heiss» für «Herd», oder auch erfundene Wörter, wie «Schlecke» für Zunge. Wird zunächst nur eine Sprache erworben, wird nur jeweils ein sprachlicher Ausdruck erworben. Werden zwei, oder mehr Sprachen erworben, werden sprachliche Ausdrücke parallel erworben. Manchmal beeinflusst die eine Sprache die andere, so dass es zu Sprachmischungen kommen kann. Dies passiert aber normalerweise nur im Erwerbsprozess und es verliert sich mit zunehmender Kompetenz, sofern die Verwendung der Sprachen für das Kind nachvollziehbar ist. Das bedeutet, dass weitere Sprachen in festen Konstellationen gelernt werden sollten, die entweder typisch für bestimmte Personen, Umgebungen oder Situationen sind. 

Als wichtig hervorzuheben wäre, dass wenigstens eine Sprache vom Kind so sicher erworben wird, dass das Kind in der Lage ist, die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren und die sprachlichen Erfordernisse des Alltags so sicher wie möglich zu bewältigen. Kinder sollten auch sprachlichen Zugang zu Erlebniswelten haben, die über den Alltag hinausgehen, so wie dies etwa mit Büchern möglich ist. Kinder sollten so gefördert werden, dass sie in jedem Fall über eine solide Erstsprache verfügen. Mit einer sicheren Basis können weitere Sprachen problemlos integriert werden. Je mehr dann über Sprachen reflektiert wird, desto mehr können Kompetenzen und Strategien von der einen Sprache an anderen Sprachen getestet werden. 

 

Die Publikation ist als Leitfaden angelegt. Gibt es wirklich Rezepte, um kleinen Kindern den Erwerb von weiteren Sprachen zu erleichtern?

 

Kinder sind im Allgemeinen offen für neue Dinge, vor allem, wenn sie diese beobachten dürfen und nach Laune im Spiel anwenden können. Sie brauchen keine grammatischen Erklärungen oder Vokabelkarten, um eine neue Sprache zu lernen. Sprache ist ein Mittel zum Austausch und der erfolgt am liebsten, wenn er mit Freude und mit Nutzen verbunden ist, selbst wenn es im Spiel stattfindet. Hieraus lassen sich bereits wichtige Zutaten für ein «Rezept» ablesen. 

Als Eltern oder Lehrpersonen haben wir allerdings alle möglichen Aufgaben im Alltag zu bewältigen und für manch einen ist die Überlegung, eine weitere Sprache in den Alltag zu integrieren, nur eine schöne, aber unrealistische, ja vielleicht sogar überfordernde Idee. Im Buch wird dieser Gedanke thematisiert und es werden Ideen für einfache Alltagsrituale beschrieben, die helfen, Mehrsprachigkeit ganz mühelos in den Alltag zu integrieren. Ein Schlüssel zum Erfolg ist, nicht zu viel von sich selbst zu erwarten, sondern «little by little» und selbst auch in gewisser Weise spielerisch mit dem Sprachenlernen umzugehen. 

 

Sie haben acht «Prinzipien für das Sprachenlernen mit Leichtigkeit» formuliert. Können Sie die wichtigsten herausgreifen und kurz erläutern?

 

Also, ich finde sie alle so wichtig! [lacht] Spracherwerb findet bereits bei den ganz kleinen Dingen statt – ob es das«Guten Appetit» oder das gemeinsame Zählen in anderen Sprachen ist, gewisse Lieder zu singen oder Spiele zu spielen oder einfach Bilderbücher zum wiederholten Mal zusammen zu lesen, zu betrachten und Bilder zu benennen, oder, oder, oder. Es gibt heute so viele Möglichkeiten. Es ist ganz egal, was es ist und wieviel es ist. Mit ganz wenig, das aber regelmässig, ohne Druck und wiederholt stattfindet, können wir eine ganze Menge erreichen. Die Prinzipien sollen dabei helfen, den Blick fürs Wesentliche zu behalten.

 

Der praktische Ratgeber umfasst auch eine Material- und Ideensammlung. Was war Ihnen bezüglich Auswahl wichtig?

 

Heutzutage gibt es eine schier unendliche Fülle an Möglichkeiten und Materialien. Nicht immer ist einem klar, ob etwas einem dienlich ist, oder nicht. Manch einer weiss vielleicht auch nicht, wo anfangen. Mit der Material- und Ideensammlung wollte ich alltagstaugliche Ideen präsentieren, die – zumindest für das Englische - direkt übernommen werden können und die sich je nach Altersgruppe besonders eignen. Die Sammlung kann zum Einstieg ins Englische dienen oder als Beispiel für weitere Sprachen als Nachschlagewerk mit Hinweisen zu Auswahlkriterien dienen.

Natürlich muss ich zugeben, dass die im Buch präsentierte Auswahl auch auf persönlichen Vorlieben basiert. Es besteht selbstverständlich kein Anspruch auf Vollständigkeit. Die Quellen erscheinen mir aber sehr gut geeignet und auch als didaktisch wirklich wertvoll.

 

Was fasziniert Sie selber am Thema der Mehrsprachigkeit?

 

Viele glauben, mehrsprachig sei entweder die «Elite», deren Teilhaber mehrere Weltwirtschaftssprachen quasi perfekt beherrschen, oder mehrsprachig seien nur Migranten, die eine «weniger prestigereiche Sprache» sprechen und «die eine» Landessprache des Landes, in dem sie jetzt leben, lernen. Dass Menschen weltweit überwiegend eher mehrsprachig als einsprachig sind, ist vielen nicht bewusst. 

Dabei bedeutet mehrsprachig zu sein auch nicht, mehrere Sprachen perfekt zu beherrschen und somit nur wenigen Menschen vorbehalten zu sein. Vielmehr beginnt Mehrsprachigkeit bei der Grundannahme, dass die eigene Sprache eine von vielen ist, in denen man die Welt begreifen, beschreiben und in der man kommunizieren kann. Diese Erkenntnis bringt eine Offenheit und einen Gleichheitsgedanken mit sich, welche das Fundament für Toleranz, Respekt und Frieden sind. Das alles beginnt mit dem Zugang zu mehreren Sprachen. Das fasziniert mich – und auch, dass das Verständnis für Sprachen nicht schwindet, wenn es einmal geschaffen ist.

Christina vom Brocke, Einfach mehrsprachig. Wie mein Kind mit Leichtigkeit Sprachen lernt. Collana PHGR 8 (2021)

Mehrsprachigkeit Graubünden